Atatürk: Der übermenschliche Kommandant und Staatsmann

Viele dürften sich gefragt haben, wie es denn überhaupt zu erklären ist, dass in der heutigen Türkei im Vergleich zu den meisten anderen islamischen Ländern ein wesentlich moderneres und weltoffeneres Weltbild herrscht. Alles ist das Werk eines Mannes namens Atatürk, der Gründer der modernen Türkei.

Atatürk umgeben von den Ministern der neu gegründeten türkischen Republik

Wenn Sie in die Türkei kommen, sehen Sie ihn überall auf Plakaten und Bildern in öffentlichen Gebäuden und es gibt kaum einen Stadtplatz, wo er in Denkmälern nicht verewigt ist.  Seinen Namen Atatürk, der ins Deutsche übersetzt ‚Vater der Türken‘ heißt, hat er in 1934 vom damaligen Parlament mehrheitlich verpasst bekommen. Als eine Vaterfigur diesen Ausmaßes für das ganze Land ist er bis heute als das Wahrzeichen der Türkei geblieben und sein Todestag wird jedes Jahr als Gedenktag gefeiert. Darüber hinaus prägen seine Grundideen nach wie vor das politische Leben in der Türkei.

Atatürk ist noch heute überall und allgegenwärtig

Kindheit und jugendliche Jahre

Als Mustafa Kemal in Saloniki auf die Welt kommt, ist das einst mächtige osmanische Reich schon lange dem Untergang geweiht. Seit dem Ende des 17. Jahrhunderts haben die Osmanen nämlich große Gebietsverluste hinnehmen müssen und es sind die Interessenkonflikte der europäischen Großmächte, die den absoluten Niedergang nur noch hinauszögern.

Die Stadt Saloniki befindet sich zurzeit noch unter der Herrschaft der Osmanen. Mustafa wird als einer der sechs Kinder der Eheleute Ali Rıza Bey und Zübeyde Hanım geboren, seine vier Brüder sterben im Kindesalter. Entgegen der Proteste seiner Mutter, die ihn in eine Religionsschule schicken will, kommt er in eine westlich orientierte Privatschule. Nach dem frühen Tod seines Vaters jedoch besucht Mustafa verschiedene Schulen, bis er in eine Militärschule aufgenommen wird. 

In der Zwischenzeit entwickelt der junge Mustafa Kemal große Liebe für Frankreich. Er lernt Französisch und ist wie viele anderen jungen Offiziere begeistert von der französischen Revolution und von ihr ausgegangenen europäischen Idealen. An den Militärschulen wird er später auch viele Gleichgesinnte kennenlernen und Freundschaften fürs Leben schließen.

Kurz nach dem erfolgreichen Abschluss der Militärakademie werden er und seine Freunde der Untreue gegenüber der Regierung beschuldigt und schließlich verhaftet. Es folgen mehrere Monate in Haft, bis er nach Damaskus geschickt wird.   

In 1881 erblickte Atatürk in diesem Haus das Licht der Welt

Das Werden eines Helden 

Bereits am Anfang seiner Offizierskarriere ist Mustafa Kemal von großem Ehrgeiz getrieben. Er ist sich sicher, dass er es weit nach oben bringen wird.

Ende der 1880er Jahre war eine Oppositionsbewegung entstanden, die aus jungen Offizieren besteht, die sich Jungtürken nennen. Dieser Bewegung, die offiziell unter dem Namen ‘Komitee für Einheit und Fortschritt’’ bekannt ist, schließt sich auch der junge Offizier Mustafa Kemal an. Vorerst üben die Jungtürken Druck auf den damaligen Sultan Abdülhamid aus, die Verfassung von 1876 wieder einzuführen. Nicht nur dieses Vorhaben gelingt ihnen am Ende, sondern übernehmen sie auch sogar die Regierungsbildung.

Am Vorabend des ersten Weltkriegs und im Hintergrund der vielen Kriege an verschiedenen Fronten, gewinnt die Gruppe unter den Jungtürken die Oberhand, die eine mehr an türkischen Werten und umso weniger an der Religion orientierte Politik befürwortet.

Es gibt jedoch ein anderes Problem: Im Zuge des weltweiten Nationalismus begehren die unter osmanischer Herrschaft lebenden Völker fast zeitgleich auf. Folglich beklagt das Reich besonders auf dem Balkan große Gebietsverluste.

Unterdessen zieht das Reich an der Seite der Deutschen in den ersten Weltkrieg. Nach der erfolgreichen Verteidigung von Dardanellen wird  Mustafa Kemal zum Oberst ernannt und macht zum ersten Mal weltweit auf sich aufmerksam. Bei alledem ist es auch wichtig, zu erwähnen, dass er von Anfang an gegen den Krieg an deutscher Seite ist.

Atatürk und seinen Soldaten gelang der Sieg bei der Verteidigung der Dardanellen

Der Unabhängigkeitskrieg und der Weg zur Republik

Die deutsche Niederlage hat verheerende Folgen für das Reich: bedingungslose Kapitulation und die anschließende Aufteilung des Landes unter den Siegermächten Großbritannien, Frankreich, Italien und Griechenland. Die Türkei soll sich fortan mit einem kleinen Restgebiet, das Teile von Zentralanatolien und die Schwarzmeerküste umfasst, zufrieden geben. Somit ist das Land vollkommen vom Mittelmeer abgeschnitten und Istanbul steht unter internationaler Vormundschaft.

Die zunehmenden Unruhen in Anatolien stellen für England und die anderen Großmächte ein großes Problem dar. Sie üben Druck auf den Sultan aus, woraufhin dieser Mustafa Kemal damit beauftragt, den sich abzeichnenden Widerstand im Keim zu ersticken. Sobald er jedoch in der Hafenstadt Samsun ankommt, nutzt er die Gelegenheit, um eine Widerstandsbewegung in Gang zu setzen. Im Zuge dieser Bewegung wird eine nationale Regierung mit Hauptsitz in Ankara gebildet, an deren Spitze Mustafa Kemal sitzt. 

Die Volksarmee Kuvayı Milliye erzwingt bedeutende Siege gegen die Besatzungsmächte und erobert nach und nach verlorenes Gebiet zurück. Die wichtigsten und entscheidendsten Kämpfe hingegen finden gegen die Griechen statt, die Gebiete entlang der gesamten ägäischen Küste unter ihre Kontrolle zu bringen versuchen. In der Schlacht İnönü jedoch erleidet die griechische Armee eine ausschlaggebende Niederlage und wird letztendlich ins Meer getrieben und somit aus Anatolien vertrieben.

Ein Jahr später wird der Widerstandskampf unter der Führung von Atatürk von Erfolg gekrönt. Bis auf wenige Ausnahmen – die Eingliederung von Hatay in die Türkei in 1938 – werden die Grenzen der heutigen Türkei im Vertrag von Lausanne in 1923 festgelegt. Der Vertrag sieht außerdem vor, dass ein Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei stattfindet. Während in der Folge 1,5 Millionen in der Türkei lebenden Griechen nach Griechenland umsiedeln, sind es auf der anderen Seite 500.000 Türken.

Auf dem Weg zu einer modernen Türkei

Ein neues Land im Aufbau

Nach dem Sieg gehört das Sultanat nun der Vergangenheit an und am 29. Oktober 1923 wird die türkische Republik ausgerufen. Ab sofort wird die Religion der Politik untergeordnet und die Trennung von Religion und Staat fest in der Verfassung verankert.

Um den Bruch mit der osmanischen Vergangenheit zu bewältigen, avanciert Nationalität zum neuen Identitätsfaktor der neu gegründeten Republik. Unabhängig von seinem Ursprung und Religion soll sich von nun an jeder als Türke verstehen. Der von Mustafa Kemal verkündete Leitspruch ‘’Wie erhaben ist es, zu sagen: Ich bin ein Türke!’’ prägt das kollektive Bewusstsein vieler Generationen. Aus der heutigen Sicht mag dies radikal erscheinen, doch in Wirklichkeit war es ein erforderlicher Schritt, denn wir reden von einer neugeborenen Nation.

Zeit seines Lebens bestimmen Reformen den wesentlichen Teil der Politik von Mustafa Kemal. Er setzt zahlreiche Reformen in Kraft, die sowohl das öffentliche als auch das tägliche Leben der Bevölkerung grundlegend verändern. Zu den wichtigsten unter ihnen gehören: die westliche Gesetzgebung, das lateinische Alphabet, der gregorianische Kalender, und das zur damaligen Zeit selbst in Europa nicht existierende passive und aktive Wahlrecht der Frauen. 

Mustafa Kemal Atatürk verstirbt in 1938 an Leberzirrhose. Er vererbt einen modernen, westlich orientierten türkischen Staat. Heute wird er von den Türken verehrt, die seine Ideen an kommende Generationen weitergeben werden.

Mustafa Kemal Atatürk in seinen letzten Lebensjahren